That Sinking Feeling 1980
Überblick: Ronnie (Robert Buchanan), Wal (Billy Greenlees), Andy (John Gordon Sinclair) und Vic (John Hughes), vier arbeitslose Jungs im Teenageralter aus dem triesten regnerischen Glasgow der 70er, haben keine Arbeit. Beschäftigungslos und ungeliebt glauben sie, dass es nur eine Möglichkeit für sie gibt, zu den ganz Großen zu gehören: ein mutiger Diebstahl. Mit einem sich schnell erweiternden Kreis von hinzugewonnenen jugendlichen Möchtegerndieben, in Wahrheit doofen Jugendlichen, nicht älter als sie selber, planen sie das vollkommene Verbrechen - den Diebstahl von neunzig Waschbeecken rostfreien Stahls aus einem Lager. Doch der Coup selber und das darauffolgende verscherbeln der Ware gestalten sich schwieriger, als gedacht...
Kommentar
»Ich bin eigentlich kein besonders guter Regisseur«, bekennt mit unschuldigem Understatement ausgerechnet der Filmemacher, von dem vier der schönsten Filme stammen, die ich kenne. Allesamt Komödien, versteht sich - und alle bittersüß. Denn die Filme kommen wie ihr Regisseur - aus Schottland, das er liebt (»I'm fond of my country«) und dessen Geist er ihnen verleiht. Darum sind sie komisch, liebenswert, skurril und schön, aber nicht sentimental kitschig, vordergründig. »Wenn eine Komödie nur dazu taugen soll, Lacher zu provozieren«, sagt Forsyth, »würde zuviel unnütze Arbeit in ihr stecken.« Deshalb sind seine Filme keine Klamotten, spielen sie nicht im luftleeren Raum, sondern unaufdringlich und sensibel mit Problemen der Ökologie, Pubertät oder Arbeitslosigkeit. Mit »Local Hero«, seinem dritten Film, erregte Forsyth auch bei uns die Aufmerksamkeit von Kritik und Publikum. Da waren seine beiden ersten Werke in Schottland (da vor allem), England und den USA schon längst zu veritablen Geheimtips mit Kultstatus geworden. Ein kleiner, engagierter Verleih hat ihnen nun dazu auch bei uns die Chance gegeben. Sicher: sie haben nun schon ein paar Jahre auf dem Buckel, aber es gibt in ihnen noch immer mehr zu entdecken, sie stillen den Hunger nach Kino noch mehr als manche neue Produktion aus dem Zeitalter der Computeranimation. Ein Regisseur wird nachgeholt, von hinten aufgerollt — und das komplette Bild (das man sich spätestens dann machen kann, wenn der erwähnte Verleih auch seinen bislang letzten Film »Comfort & ]oy« demnächst in die Kinos bringt) ist neu, aufregend. Für Bill Forsyth ist es eben niemals zu spät. »Gregory's Girl«, sein zweiter Film, kam Anfang des Jahres 1986 hierzulande heraus und fand - zumindest in den großen Städten - noch immer sein Publikum.Natürlich konnte dieser Film, der so schottisch ist wie Valentin bayerisch, nur in einer untertitelten Originalfassung präsentiert werden. Synchronisiert hätte man ihn gar nicht verstanden. Das gilt ebenso, wenn nicht noch mehr, für Forsyths Erstlingswerk, 1979 mit sehr wenig Geld entstanden und auf dem Festival von Edinburgh begeistert aufgenommen. »That Sinking Feeling«, so der zweideutige Titel dieser hanebüchenen Kriminalgeschichte, wurde im Glasgower Underdog-Idiom gedreht und mußte für den englischen Markt etwas poliert werden (beide Fassungen des Films sind übrigens bei uns zu sehen!). Ein unglaublich komischer Film vor einem unglaublich deprimierenden Hintergrund. Das ist Forsyths Spezialität. Es regnet immerzu in Glasgows Arme-Leute-Gegend, auf den holprigen Pflasterstraßen stehen Pfützen, die Parkwiesen sind zu Schlammfeldern aufgeweicht und ein mickriger Hamburger an einer heruntergekommenen Imbißbude ist mit 45 Pence viel zu teuer. Denn die jugendlichen Helden aus »That Sinking Feeling« haben keine Arbeit, einer nicht einmal eine feste Adresse. Sie schnorren Zigaretten, ernähren sich von Cornflakes und denken, sich in einem Autowrack vor dem Regen schützend, über die sicherste Methode zum Selbstmord nach. Einer wollte sich aus dem Fenster im vierzigsten Stock stürzen. Er lebt noch, weil der Aufzug kaputt war und die Treppen zu anstrengend. Man lacht und Forsyth hat sein Prinzip auf den Punkt gebracht. Lachen und Weinen sind zwei Seiten der gleichen Medaille, aber Lachen ist schöner. Also kommt den Jugendlichen noch die rettende Idee. »Wofür ist diese Gegend bekannt?«, fragt Ronnie, der Parkbank-Philosoph, nach einem Geistesblitz seine verdutzten Freunde. »Besoffene…Ladendiebe. ..Arbeitslosigkeit« ist die ebenso spontane wie im Grunde richtige Antwort. Doch Ronnie will auf etwas anderes hinaus, schwadroniert - zunächst zum Unverständnis aller - etwas von rostfreien Spülbecken (»sinks!«) und heckt einen Rififi-verdächtigen Plan zum Raub in einer der größten Sanitär-Fabriken Glasgows aus. Wie sich die Jungs auf den großen Coup vorbereiten, komplizierte Geräte zum gewaltsamen Ausschalten der Alarmanlage basteln, einen Lieferwagen Klauen, sich als Frauen verkleiden, um den Nachtwächter abzulenken (was dazu führt, daß einer von ihnen gleich eine Diät aus »Vanity Fair« beginnt) und wie am Ende der Einbruch verläuft — das erzählt Forsyth als Nummernrevue der wildesten und ausgefallensten komischen Ideen und mit einer geradezu unverschämten (und darum so hinreißenden) Ignoranz jeglicher Glaubwürdigkeit und Plausibilität. »That Sinking Feeling« ist alles andere als ein perfekter Film, er ist ruppig, billig, hat Ecken und Kanten. All das aber macht ihn so charmant und unwiderstehlich. Seit dem Erfolg von »Local Hero« ist bei uns viel über Forsyth geschrieben worden, über seinen schottischen Humor, in dem er selbst eine Nähe zu dem jüdischen Witz New Yorks sieht (»Ich glaube der Glasgower Humor ist dem New Yorker Humor sehr ähnlich, das ist Galgenhumor, der Humor der Verzweiflung«), über seine Verwandtschaft zu Jacques Tati, der aus dem Alltäglichen das Komische filterte, über seine Vorliebe für »running gags«, für die er immer wieder neue, überraschende Variationen findet (man denke nur an den Motorradfahrer in »Local Hero«) und über seine charismatische Fähigkeit, mit Schauspielern umzugehen, die auch in »Local Hero« etwa dazu führte, daß ein Newcomer wie Peter Capaldi neben einem Superstar wie Burt Lancaster bestehen konnte. Doch eine der herausragenden Eigenschaften des Regisseurs scheint mir die angenehm auffallende Kontinuität in allen Bereichen seiner Arbeit zu sein. So engagierte er mehrere Leute aus dem technischen Stab von »Gregory's Girl« - wie etwa den Tonmeister Louis Kramer - auch für die Großproduktion »Local Hero«; ließ er den mittlerweile als Filmkomponisten reichlich beschäftigten Mark Knopfler nach »Local Hero« auch den Soundtrack zu »Comfort & Joy« schreiben, und übernahm Knopflers an die traditionelle schottische Tanzmusik angelehnten Song »The Ceilidh« (aus »Local Hero«)noch einmal für die englische Fassung von »That Sinking Feeling«. Die größte Treue allerdings hält Forsyth seinen Schauspielern. Die Besetzung aus »That Sinking Feeling« rekrutiert sich zum überwiegenden Teil aus Mitgliedern des Youth Theatre of Glasgow, dem arbeitslose Jugendliche ebenso angehörten wie Oberschüler. Robert Buchanan, John Hughes, Billy Greenlees, Douglas Sannachan, Alan Love, Danny Benson und John Gordon Sinclair verkörperten die sympathischen Underdogs nicht nur so echt und gefühlvoll, daß mancher Strasberg-Schüler vor Neid erblassen würde, sie haben den Film auch um viele eigene Ideen bereichert. Forsyth muß von ihnen so viel gelernt haben wie sie von ihm. Deshalb taucht fast das komplette Team denn auch in »Gregory's Girl« wieder auf, der dann vor allem John Gordon Sinclair zu einem kleinen Star macnte. Sinclair spielte danach noch eine liebevolle Gast-Rolle in »Local Hero« (als Drummer der Acetones), wurde für Lindsay Andersons »Britannia Hospital« verpflichtet und hat gerade wieder die Hauptrolle in einem Film namens »The Girl In The Picture« gespielt. Seine Partnerinnen in »Gregory's Girl« waren Dee Hepburn, die danach zum Star der TV-Soap-Opera »Crossroads« avancierte und Clare Grogan, die ein Jahr nach dem Film als Frontgirl der Altered Images noch bekannter wurde und in »Comfort & Joy« eine überaus begehrenswerte Italienerin mimt. Andere Mitglieder des Ensembles haben es zwar (noch?) nicht zu solchem Ruhm gebracht, bei Forsyth allerdings gerieten sie nicht in Vergessenheit: Robert Buchanan, der Bandenchef behält als glückloser Andy in »Gregory's Girl« seine Vorliebe für Cornflakes und arbeitet in »Comfort & Joy« in der Werkstatt, die Clare Grogans Mann gehört. Dort treffen wir auch wieder auf Douglas Sannachan, den Zigarettenschnorrer aus »That Sinking Feeling« und ladykillenden Fensterputzer aus »Gregory's Girl«. Und auf Gregorys besten Freund Billy Greenlees, dessen Vorliebe für Frauenkleidung im Erstling ihn für den homophilen Koch in »Gregory's Girl« prädestinierte. Einzig Alan Love spielt in den beiden Filmen extrem unterschiedliche Figuren. Während er in »That Sinking Feeling« den Ex-Buchhalter mimt, der nicht mal eins und eins zusammenzählen kann, mauserte er sich im folgenden Film zum geschäftstüchtigen Fotografen. Die oben zitierte, auf den ersten Blick überraschende Selbsteinschätzung des Regisseurs, resultiert aus seinem Umgang mit den Schauspielern und ihre Bedeutung für ihn selbst. »Die Besetzung eines Films bedeutet bei mir achtzig Prozent der Arbeit. Ich verbringe damit viel Zeit. Ich nehme nur gute Leute und Leute, von denen ich weiß, daß sie den Filmcharakteren entsprechen.« Diesem Prinzip verdanken wir einige der charmantesten und liebenswertesten Filmfiguren der 80er Jahre - Gregory, Ronnie, Susan, Oldsen mußten eigentlich nicht erfunden werden. Daß Forsyth aber auch das kann, beweist die Rolle des sympathischen Öl-Millionärs Felix Happer in »Local Hero«. Forsyth hatte sie eigens für Burt Lancaster geschrieben.